Bericht von unterwegs: St-Aubin-du-Vieil-Évreux – Saint-André (Eure)

Auf der 2020er Ausgabe der SNCF Streckenkarte ist die Linie nur noch gepunktet eingetragen. Zugverkehr findet folglich nicht mehr statt. Es war zu erwarten, dass die Gleise bereits seit einigen Jahren sich selbst überlassen sind.

Direkt im Anschluß an meine Streckenwanderung südlich von Rouen ging es auf meiner vorbereiteten Reiseroute weiter nach Evreux. Die Strecke die ich hier wandern wollte, war der Rest einer nach Dreux durchgehenden Linie. Zuletzt wurden hier nur noch 10 Kilometer weit bis nach Saint-André gefahren.

Die Strecke wurde im Jahr 1873 eröffnet und gehörte der Eisenbahngesellschaft Compagnie du chemin de fer d’Orléans à Rouen. Nachdem diese 1878 insolvent wurde, ging der Betrieb auf die staatliche Etat-Gesellschaft über, die in dieser Zeit auch noch neun weitere in Schwierigkeiten geratenen Firmen übernahm. Die Etat war stets bestrebt die Linien wenn möglich wieder an andere Gesellschaften weiter zu verkaufen. So erfolgte 1883 ein erneuter Eigentümerwechsel hin zu Compagnie des chemins de fer de l’Ouest.

Am Bahnhof Saint-Aubin-du-Vieil-Évreux beginnt die Streckenwanderung.

Nachdem vom Unterwegsbahnhof Prey eine weitere Strecke über Damville nach La-Loupe erbaut wurde (Bauzeit 1886 – 1889), erfolgte beim Streckenteil Saint-Aubin-du-Vieil-Évreux nach Prey die Aufwertung zu einer zweigleisigen Strecke. Bei meinem Besuch im März 2022 war die Linie bereits nicht mehr zweigleisig gewesen, da dieser Ausbau schon 1944 wieder zurückgängig gemacht wurde.

Ausblick auf die beiden Gleise die in Richtung Saint-André führen werden. Rechts liegt die zweigleisige elektrifizierte Hauptstrecke Saint-Cyr à Surdon. Man sieht deutlich den Unterschied, welche Gleise befahren sind und welche nicht mehr
Die Strecke nach Saint-André über Prey verläßt den Bahnhof St-Aubin-du-Vieil-Évreux.

Der Personenverkehr auf der Strecke musste im Jahr 1939 eingestellt werden, da er der SNCF zu große Defizite einbrachte. Die Schließungen der Jahre 1938 & 1939 umfassten damals insgesamt 6.000 Streckenkilometer in ganz Frankreich. Große Teile des Bahnnetztes erschlossen damals auch das dünn besiedelte Umland, dessen Bevölkerungszahl seit Ende des 19. Jahrhunderts schrumpfte. Nur der Güterverkehr war auf diesen Linien gewinnbringend. Die Schließung für Personenzüge wurde im 2. Weltkrieg teilweise wieder rückgängig gemacht.

Kurz hinter Saint-Aubin-du-Vieil-Évreux. Ein Blick auf den Oberbau offenbart eine lange Vernachlässigung.

Nachdem hier über 70 Jahre nunmehr nur Güterzüge gefahren sind – und zum Ende hin derer immer weniger – dürfte eine sehr marode Streckeninfrastruktur anzutreffen sein. Alte Schienen, zerfallenende Schwellen: Der Zustand der Strecke dürfte kein Guter sein, einfach weil hier durch die geringe Zahl der Züge auch keine großer Umsatz erwirtschaftet wurde.

Auf beiden Seiten der Strecke wurden die ausgedienten Schwellen abgelegt. Dies hatte hier scheinbar entlang der ganzen Strecke System

Der Oberbau kann mit gutem Gewissen als desolat beschrieben werden. Überall wurde im klein-klein geflickt und repariert, aber es waren nie große Summen oder umfassende Arbeiten die ausgeführt wurden. Altes Material wie die Holzschwellen wurden nach dem Ausbau an den Rand gelegt und sich selbst überlassen. Besonders viel Altmaterial geht auf die frühere Ausstattung mit Stuhlschienen zurück. Deren gusseiserne Schienenstühle überall verstreut herumliegen, mitunter auch noch an die Schwellen geschraubt zu finden sind.

Bei den Schienen an der Strecke handelt es sich um die heute gebräuchlichen Vignolschienen. Sie ersetzen die hier früher verbauten Stuhlschienen. Teilweise waren angetroffenen Schienen bereits an den Seiten deutlich abgenutzt als sie hier eingebaut worden waren.

Zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt wurden die alten Stuhlschienen gelockert und entfernt. Zum Einbau kamen gebrauchte Vignolschienen, die zuvor schon an einer anderen Strecke gelegen haben. Die Abnutzung an einem früheren Ort ist manchmal deutlich sichtbar, aber kein Grund gegen eine solche Zweitverwertung der Schienen.

Schon drei Kilometer hinter Saint-Aubin-du-Vieil-Évreux wird der Zustand der Strecke immer schlechter. Auch die Natur wird aufdringlicher.

Bei Streckenkilometer 35 findet sich ein alter Bahnübergang. Direkt daneben liegt auch ein Bauernhof, für den der Überweg wohl mal eingerichtet worden war. Offenbar nutzte man den Bahnübergang kaum und so geriet er für die Anwohner und auch die Eisenbahn in Vergessenheit. Durch diesen Dornrößchenschlaf ist der Überweg noch so erhalten wie er 1873 erbaut wurde. Die alten Tore sind noch da und die Zäune sind auch zu sehen. Alte Schilder verkünden, dass der Bahnübergang irgendwann mal offiziell geschlossen wurde.

An der Steinbogenbrücke läßt sich noch gut erkennen, dass hier mal zwei Gleise drunter passten
Die Holzschwellen wurden in den letzten Jahren nur sehr sporadisch ausgewechselt. Dort wo dies geschah, ist der Unterschied noch deutlich sichtbar.
Die Einfahrweiche vom Bahnhof Prey. Fast ist die Vegetation hier vollständig über das Streckengleis gewachsen.

Der Bahnhof von Prey liegt hinter einer fast vollständig gewachsenen Weiche. Hier zweigte ab 1888 die Strecke nach La Loupe ab. Auch auf dieser Bahnstrecke endete der Personenverkehr ab dem Jahr 1938. Der Güterverkehr folgte ab den 50er Jahren. Wie durch ein Wunder sind in Prey der Güterschuppen und das Empfangsgebäude bis heute nicht abgerissen worden. Beide Gebäude dürften aber bald nur noch Ruinen sein, wenn der Verfall so weiter geht…

Das Empfangsgebäude aus dem Jahr 1873 wacht über das trostlose Gleisfeld
Hier unter dem Gras liegt wohl ein Gleis verborgen, auf dem früher Güterwagen beladen wurden.
Schließlich verlassen den Bahnhof von Prey zwei eingleisige Bahnlinien: Nach Links Richtung Dreux (Schienen noch bis Saint-André). Rechts nach La Loupe (Schienen bis Breteuil).
Ab Prey wird der Streckenabschnitt bis Saint-André nochmals etwas abenteuerlicher und die Vegetation nimmt weiter zu.

Hinter Prey passieren beide Bahnlinien die Umgehungsstraße. Zwei baugleiche Brücken wurden errichtet. Warum man sich für diese komischen Klinker-Türme entschied ist mir ein Rätsel. Die Brücke über die Strecke Richtung La Loupe hätte man sich sparen können, hier fuhr ca. 2008 der letzte Zug.

Örtliche Künstler waren schon hier. Besser an dieser abgeschiedenen Brücke, als Anderswo.
Wohin man auch schaut, keine 30m Strecke ohne alte vergammelte Holzschwellen an der Böschung. Oft noch mit Schienenstühlen darauf und manche schon mit Moos bewachsen.
Dem kleinen Toilettengebäude am Bahnhof La Forêt-du-Parc erging es im Lauf der Geschichte weniger gut, es stehen nur noch die Grundmauern.

Ab dem Bahnhof La Forêt-du-Parc war das Bahngleis mehr und mehr zugewachsen. Hier hatte ich langsam wirklich probleme vorwärts zu kommen. Zu allem Unglück hatte die Bahnlinie in einem Graben geführt. Ausweichen zu den Seiten war nicht mehr möglich, da der Hang auch vollständig mit dornigen Hecken bewachsen war. Nun setzte auch langsam der angekündigte Regen ein. Jetzt hieß es Zähne zusammenbeißen, Augen zu und durch. Ziel war es nur vor 19 Uhr am Supermarkt von Saint-André das Abendessen zu kaufen. So machte ich auf den letzten zwei Kilometern vor Saint-André kaum noch Fotos und kämpfte mich zum nächsten Bahnübergang Nummer 33 durch.

Desolater Zustand der oft über 60 Jahre alten Holzschwellen.
2 Kilometer vor Saint-André war ab dieser Brücke Schluß mit einer angenehmen Streckenwanderung.
Gezeltet wurde in Saint-André an einem kleinen See. Bei der Hütte am Angelverein ließ sich sogar eine brauchbare Steckdose finden. So waren am nächsten Morgen alle Akkus vollgeladen.
In der Abenddämmerung: Der ehemalige Bahnhof von Saint-André.

Die Besichtigung vom Bahnhof Saint-André sowie den Gleisanlagen der beiden Silos fiel am folgenden Morgen dann leider ins Wasser. Einsetzender Regen und starker Wind ließen mich mit meinem klapprigen Regenschirm etwas hilflos dastehen. Da ich mich nirgends unterstellen konnte, machte ich in der Hast nur ein paar wenige Handyfotos und marschierte dann im einsetztenden Schneeregen die 22 Kilometer nach Dreux ins Hotel. Damit endete meine Streckenwanderung leider aprubt ohne den Bahnhof genauer dokumentiert zu haben – heute ärgere ich mich darüber etwas.

Bei Regen sehen die Gleisanlagen im Bahnhof gleich nochmal trostloser aus.
Pikachu! In Saint-André an einem der Anschlußgleise richtete ich unter kurzen Vordach meine Regenkleidung zurecht, dann ging es weiter. Früher wurden hier Güterwagen an die Rampe gestellt. Jetzt ist vom Gleis nichts mehr zu sehen.
Auf dem deutschen Soldatenfriedhof Champigny-Saint-André liegen 19.381 Soldaten beerdigt. Ein Stein für 4 Tote. Besucher kommen nur selten hierher. Trotzdem wird die Anlage sehr gut gepflegt. Die alte Bahntrasse von Saint-André weiter nach Dreux liegt direkt hinter der Friedhofsmauer.

Über Feldwege und leere Straßen, manchmal auch auf dem alten Bahndamm, gelangte ich nach Saint-Georges-Motel. Ab hier befindet sich auf der Bahntrassenradweg, dem ich bis kurz vor Dreux folgte.

Und das war sie, meine kleine Bahntrassenwanderung von St-Aubin-du-Vieil-Évreux nach Saint-André (Eure). Wirklich viel interessantes zu sehen gab es hier nicht, Wiederholung ausgeschlossen. Aber eine Strecke mehr in meine „been here – done that“ Liste 🙂

1 Kommentar

  1. Vielen Dank,einmal mehr sehr schön…hier in Niedersachsen gibt es – leider -auch recht viele stillgelegte Strecken…Bodenwerder -Kirchbrak,Voldagsen – Duingen etc…

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