Bericht von unterwegs: Vendome – Selommes

Die 67 Kilometer lange Bahnverbindung zwischen BloisPont-de-Braye wurde 1881 eröffnet. Teil dieser Strecke ist der 33km lange Abschnitt zwischen Verdôme und Blois. Diese Verbindung zwischen Vendôme und Blois wurde um 1949/50 auf einer Länge von 5 Kilometern unterbrochen. Es verblieben zwei für den Güterverkehr geöffnete Streckenstummel.

Ein Ausschnitt aus der Streckennetzkarte der SNCF (03/2019). Auch 2020 zeigte die Karte hier keine Änderungen

Im Jahr 2020 gibt die französische Staatsbahn SNCF an, auf beiden Teilästen VendômeSelommes und BloisVillefrancoeur diese Strecke für den Güterverkehr geöffnet und damit betriebsbereit zu halten.

Nun war dies mit der Netzkarte der SNCF offenbar immer so eine Sache. Die veröffentlichte Karte und die Situation vor Ort weichen dabei manchmal deutlich voneinander ab. Auf einer „für Güterzüge geöffneten Strecke“ stehen da ganz gerne mal Bäume im Gleis und machten deutlich, dass hier seit Jahren kein Zug mehr gefahren sein kann. Was im Hintergrund zu solchen inhaltlichen Fehler der Karte führt, darüber kann ich nur spekulieren.

Das Streckenband der Linie. Quelle Wikipedia.fr

Es sind gerade diese sich oft widersprechenden Details, die mich im April 2022 zu einem Besuch mehrerer kleiner Linien veranlasst haben. Wenn die Luftbilder den Eindruck hinterlassen eine Bahnstrecke sei aufgegeben worden und die Karte der SNCF sagt das Gegenteil, dann möchte ich da mal für mich eine Gewissheit haben und mich selbst vor Ort von den Fakten überzeugen.

Der Bahnhof von Vendôme. Bewölkter Himmel war keine Seltenheit.

Die Anreise von Châteaudun nach Vendôme ist eine Kleinigkeit. 59 Minuten mit dem Bus für 6€. An der Bahnstrecke wird gerade bis August gebaut, es fahren also nur Busse. Der Wetterbericht kündigte noch weitere zwei Tage Dauerregen an. Im Hotel verkriechen wollte ich mich nicht mehr, das hatte ich nun schon zwei Tage lang getan – geht irgendwann zu sehr zu Lasten der Reisekasse. Der Campingplatz in Vendôme war da eine deutliche Verbesserung: Steckdosen, Duschen, und das für 12€ am Tag. Was will man als Wanderer mehr? Für den ersten Regentag hatte ich mir vorgenommen einfach mal ohne Gepäck und nur mit Regenschirm einen Spaziergang auf der Strecke VendômeSelommes (12km) zu machen. Abends dann mit dem Bus zurück. Sozusagen eine kleine Vorerkundung der Strecke.

Auf dem Campingplatz in Vendôme

Für den geplanten Spaziergang nach Selommes wurde eingepackt: Der Regenschirm (ganz wichtig, er wurde unterwegs knapp 20x gebraucht), die Kamera (nur für den Fall, dass der Regen pausiert und die Wolken doch mal verschwinden) und etwas Verpflegung. Zum fotografieren zwischendurch wird das Handy herhalten müssen.

Eine Brücke für die Straße, direkt an der Pont sur la Loir.
Streckenkilometer 33,462. Die Pont sur le Loir, ein schönes altes Bauwerk der 1881 eröffneten Bahnlinie. Dort oben liegt die eingleisige Bahnstrecke nach Blois
Rund um die Brücke wurde kürzlich ein Grünschnitt vorgenommen, so ist es einfach nach oben zur Gleisebene zu gelangen. Die Brücke wird auch rege von Fußgängern genutzt, obwohl dies nicht vorgesehen ist.
Oben auf der Brücke. Große Sträucher oder Bäume wachsen hier nicht, das Gleis scheint frei zu sein. Dafür sehen die Schienen nicht sehr befahren aus. Das „Betreten verboten„-Schild wurde entfernt.
Schon 100m hinter der Pont sur la Loir: Nein, also bei bestem Willen, hier fahren keine Züge mehr.

Etwas enttäuscht von den zugewachsenen Schienen und der sich wild ausbreitenden Vegetation, setzte ich meinen Spaziergang auf der Strecke fort. Eine andere Quelle im Internet gibt an, dass der Zugverkehr bereits 2018 ausgesetzt wurde. Das wird wohl zutreffend sein. Immerhin blieb auf den ersten Kilometern ein kleiner Trampfelpfad auf dem Gleis übrig

Am kleinen Ort Areines lebt die Strecke als „Rasengleis“ weiter. Gut begehbar und schön grün.

Während das Spazieren auf Bahnstrecken üblicher Weise immer zu kurzen Tippelschritten führt, da man nur auf die Schwellen tritt, war hier auf dieser Linie etwas ganz anderes der Fall: Aus welchen Gründen auch immer, der Abstand zwischen den Holzschwellen war ungewöhnlich lang. Von kurzen Tippelschritten konnte man hier nicht sprechen. Eher musste ich ordentlich große Schritte machen, um die nächste Schwelle zu erreichen.

Ein Blick unter die Schienenköpfe zeigt das Alter der hier verlegten Schienen: Sie stammen alle überwiegend aus dem Zeitraum 19061908. Das ist zwar alt, habe für französische Nebenbahnen nicht rekordverdächtig.
Hinter dem Gehöft Tournebride war es dann wirklich an der Zeit die gute Kamera aus dem Rucksack zu holen: Der Bahndamm war einfach begehbar und die folgenden 3 Kilometer sollen durch ein Waldgebiet führen. Der Regen hatte aufgehört und die Sonne versuchte stellenweise durch die Wolkendecke zu stoßen.
Die Bahnlinie führt durch den Wald „Bois de Brulène„. Ein paar Bäumen liegen quer, stellen aber keine großen Hindernisse dar.
Wie in einem grünen Tunnel
Wo sich in einem Wald Wasserläufe bilden und die Bahnlinie abwechselnd auf Dämmen und durch Einschnitte führt, müssen auch kleine Durchlässe errichtet werden.
Bei diesem Durchlass hier ist nichteinmal das andere Ende zu sehen. Wie in einer Rutschbahn führt der Durchlass einige Meter tiefer. Meine Taschenlampe hatte ich leider nicht dabei ^^

Und natürlich darf hier im Wald für den einsamen Forstweg auch eine handwerklich solide errichtete Steinbogenbrücke nicht fehlen.

Hinter Brücke führte die Bahnlinie schnell wieder auf einem Damm über eine Senke im Wald. An der tiefsten Stelle war für die Bachläufe wieder ein Durchlass geschaffen worden. Aus drei Richtungen sah man trockene Bachläufe auf den Durchlass zu führen.

Rund 1km später bot sich auf den Schienen ein ganz anderes Bild: Man sah sie kaum noch. Ein riesen Meer aus Brombeersträuchern erstreckt sich über den Bahndamm. Mühsam kämpfte ich mich zur Brücke vor und verließe dort die Bahntrasse erstmal.
Gut begehbar war die Linie erst wieder ab Bahnübergang Nummer 42 am Bahnhof von Villetrun – Coulommiers.

Direkt im Anschluß an den Bahnübergang mit der Nummer 42 geht es in den ehemaligen Bahnhof von Villetrun – Coulommiers. Er liegt mittig zwischen den Ortschaften Villetrun und Coulommiers (welch eine Überraschung). Hier hatten landwirtschaftliche Genossenschaften ihre Erzeugnisse auf die Bahn verladen. Beim Bau der Silos muss wohl das Bahnhofsgebäude abgerissen worden sein. Nur der Güterschuppen war noch zu sehen. Dort wo einst Ladegleis gelegen haben, hatte man Schienen und Schwellen entfernt. Nur ein Prellbock war noch zu sehen.

Der Bahnhof auf einer alten Postkarte. Das Empfangsgebäude fehlt heute. Nur der Güterschuppen (auf dem Bild direkt neben der Lokomotive) ist heute noch zu sehen.

Bahnübergang Nummer 43 direkt nach dem Silo der Agrar-Genossenschaft. Schranken am Bahnübergang fehlen nun.
Die 4 Kilometer Strecke zwischen den Feldern bis nach Selommes waren auf Grund fehlenden Windschutzes und mehrerer Regenschauer kein schöner Spaziergang.
Die letzten Instandsetzungsarbeiten, bei denen Holzschwellen ausgetauscht wurden, sind optisch sehr gut zu erkennen. Im Laufe der Arbeiten wurde auch der Schotter erneuert, wie weithin zu sehen ist. Die Arbeiten wirken optisch noch auf Jahre nach, auch wenn sie jetzt keinem Zug mehr zugute kommen.
Kurz vor Selommes gab es eine Pause zwischen den Regenschauern und für eine halbe Stunde kam nach und nach die Sonne hervor.
500m vor dem Bahnhof von Selommes findet sich diese namenlose Bahnbrücke über ein nicht näher bekanntes Gewässer. Auch der Name der Brücke scheint noch unklar
Bahnübergang Nummer 49 kurz vor dem Bahnhof Selommes.

Selommes war zuletzt schon lange Zeit der Endpunkt der Linie. Die folgenden 5 Kilometer bis nach Villefrancoeur wurden seit den 1950er Jahren nicht mehr befahren. In Selommes wurden an mehreren Verladeanlagen landwirtschaftliche Produkte umgeschlagen. Nachdem der Verkehr eingestellt wurde, verfallen die Anlagen. Überraschend wurde das Bahnhofsgebäude bisher nicht abgerissen. Der Zustand ist aber bedauernswert.

Das Bahnhofsgebäude von Selommes an der im Jahr 1881 eröffneten Bahnstrecke. Am 2. Oktober 1938 endete hier der Personenverkehr.

Nach der Ankunft endete mein kleine Vorerkundung der Strecke. Der geplante Spaziergang war nun doch zu einer kleinen Streckenwanderung geworden. Es sind nur ein paar kleine Abschnitte die ich bei einer weiteren Gelegenheit noch einmal gründlicher dokumentieren muss und dann gilt diese kleine Strecke als abgehakt.

Die Rückfahrt von Selommes erfolgte dann für 3€ mit dem Bus. Während ich die halbe Stunde noch an der Haltestelle wartete, kam die Abendsonne noch einmal richtig hervor. Ein schöner Abschluß für diese etwas unverhoffte Streckenwanderung.

An der Bushaltestelle im Ortskern von Selommes

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