Die kleine Bahnlinie südlich von Rouen, mit ihren drei Tunneln und drei Viadukten bekam bereits im Oktober 2021 für knappe zwei Tage meine Aufmerksamkeit. Damals waren die Stunden am Vormittag noch bis zur Mittagszeit von Nebel geprägt gewesen. Da im Oktober die Tage eh schon wesentlich kürzer waren, blieb mir damals nicht viel Zeit um die ganzen Details der Strecke zu erkunden und zu fotografieren. Mit einem zweiten Besuch Ende März 2022 sollte dies nun anders werden.


Ein erster Schreck durchfuhr mich, als ich nach der fast neunstündigen Anreise in meinen Rucksack schaute. Während der TGV Fahrt war zuvor mein Rucksack aus einer der Gepäckablagen gefallen und ordentlich auf den Boden geknallt. Dabei hatte ich mein Gepäck ganz unten am Boden verstaut. Irgend wer aus der Hartschalenkoffer-Fraktion hatte meinen Rucksack wohl umgeladen. Das Ergebnis war ein zertrümmerter GPS-Adapter an meiner Kamera! Ich suchte die kleinen Kunststoffteile zusammen, die nun wild verstreut in meinem Rucksack lagen. Am Folgenden Tag konnte ich mit Sekundenkleber zumindest die großen Teile des Puzzles wieder zusammenfügen und den Adapter auch wieder nutzen. Ärgerlich bleibt es trotzdem.

In den folgenden drei Tagen wanderte ich die Strecke zwei Mal vollständig ab: Einmal hin und wieder zurück. Dazu kamen vier weitere kleine Vorhaben:
- Bei dem „Viadukt der 17 Pfeiler“ die abgebauten Verbindungsstrecken erkunden
- Am 1.300m langen Tunnel d’Orival oben auf dem Berg nach den Ausgängen der beiden Kaminschächte suchen.
- Fehlende Fotos vom Viaduc de l’Hospice ergänzen
- Mir generell etwas mehr Zeit nehmen
Kapitel 1: Gleisverzweigungen am Viadukt der 17 Pfeiler



Aus den beiden Viadukten und einer weiteren eingleisigen Gleisverbindung entsteht hier ein Gleisdreieck. Die Verbindungsbahn erfüllte den Zweck einen Anschluß an die andere Bahnlinie die unter den Viadukten hindurchführt, herzustellen.







Sechs Fotos vom „Viaduc de 17 piles“.
Unter den Bögen führt ein Waldweg hindurch. Zudem sind zahlreiche Trampelpfade vorhanden. Es scheint, als habe es hier im 2 Weltkrieg Zerstörungen gegeben. Der große Hauptbogen über die unten liegende zweigleisige Bahnstrecke wurde zerstört. Der Wiederaufbau mittels einer einfachen Stahlbrücke erfolgte nur für ein einzelnes Gleis. Der verkleinerte Wiederaufbau könnte ein Beleg dafür sein, dass der Verbindungsstrecke wenig Nutzen zugesprochen wurde und sie selten genutzt wurde.

Der Weg über das Viaduc de 17 piles ist offiziell nicht möglich. Zäune auf beiden Seiten sollen dies verhindern. Tatsächlich stellen die Zäune kein wirksames Hindernis dar und wer wirklich über das Viadukt gehen möchte, der findet auch einen Weg (wie die Spuren beweisen). Beim Spazieren über das Viadukt sollte man schwindelfrei sein oder sich nicht zu nah an die Ränder des Viaduktes begeben: Es gibt hier kein Geländer und keine Mauern mehr.


Auf dem 1,7Km langen Weg zur Abzweigstelle an der Bahnstrecke Oissel – Serquigny passiert die Verbindungsbahn einen kleinen Waldweg auf einer Brücke und einen Bahnübergang. Dann mündet sie in die Bahnstrecke Oissel – Serquigny.



Die Einmündung in die Bahnstrecke Serquigny – Oissel erfolgte über 4 Weichen, neben denen sich ein örtliches Stellwerk befand. Das Stellwerk wurde in den 60er Jahren abgerissen, zeitgleich als auch die Verbindungsbahn aufgegeben wurde. Reste des Stellwerks sind noch an Ort und Stelle zu finden. Klinkersteine, Stahlträger, Ofenrohre: Der ganze Schutt wurde einfach im Wald in einen Abhang gekippt! Auch 60 Jahre Später waren die Reste immer noch gut zu erkennen.



Den Weg zurück ging es über andere Waldwege und dann über die kurze eingleisige Verbindungsstrecke.


Solche strategischen Verbindungsgleise wie die hier gezeigten waren für den gewöhnlichen Zugverkehr oft unnötig und wurden überwiegend aus militärischen Erwägungen errichtet. Es war für die Disposition von Zügen und bei Umleitungen „nett“ solche Fahrmöglichkeiten zu haben, aber einen verkehrlich besonderen Nutzen gab es nicht. Ihr Unterhalt war bald zu teuer und so erfolgte nach und nach landesweit der Rückbau.
Kapitel 2: Die Kamine vom Tunnel d’Orival
Auf dem besuchten, 17km langen Streckenteil ist der 1.300m lange Tunnel d’Orival das größte Bauwerk. Es mutet fast schon grotesk an, dass dieser lange – für eine zweigleisige Strecke gebaute – Tunnel zuletzte immer nur eine Hand voll Züge pro Jahr gesehen hat. Für einen einzigen Kunden, der jedes Jahr nur ein paar Güterwagen verschickte. Eine so aufwändige Infrastuktur zu unterhalten muss irgendwie querfinanziert werden und von anderer Seite subventioniert werden. Einem einzelnen Kunden solche Kosten aufzubrummen geht einfach nicht. Nun ist der Zugverkehr sowieso Geschichte (der Kunde bestellt keine Wagen mehr) und damit hat sich das Ganze eh erledigt.

Als ich im Oktober 2021 durch den 1,3 Kilometer langen Tunnel ging, fielen mir an zwei Stellen Öffnungen in der Tunneldecke auf. Es gab zwei senkrechte Schächte nach oben, an deren Ende man ein wenig Tageslicht sehen konnte. Lange Tunnel mussten oft von oben über Kamine belüftet werden, damit Feuchtigkeit und Rauch der Dampfloks abziehen konnten, aber auch damit genug Sauerstoff in den Tunnel kam und das Feuer der Dampfloks nicht aus Sauerstoffmangel erlischt. Der Tunnel d’Orival war ein solcher Tunnel mit zwei Kaminen.

Wer irgendwo oben auf dem Bergrücken genauer sucht, der müsste diese Kamine eigentlich leicht finden. 2021 im Oktober versuchte ich es, gab aber nach 30 Minuten auf. Einen Betonklotz im Wald zu suchen war wirklich wie die Nadel im Heuhaufen zu finden. Außerdem gibt es oberhalb der Tunnelröhre kaum Waldwege und schon garkeine großen Hinweise, ob man sich direkt „auf“ dem Tunnel befindet oder schon wieder daneben. GPS Punkte mussten her und alte Luftbilder!




Auch der 2. Betonklotz war nach einer weiteren halben Stunde schnell gefunden und war eine exakte Kopie des Ersten. Beide Standorte verraten sich dadurch, dass sie sich auf einer kleinen 30 x 30m großen Fläche im Wald befinden die knapp zwei Meter höher ist als die Umgebung. Sicherlich wäre diese „Betonklotz-Suche“ auch ein beliebter Geocache für die Region.
Kapitel 3: Fotos vom Viaduc de l’Hospice
Das Viaduc de l’Hospice ist mir bekannt aus dem 1964er Film „Der Zug„. In einer kurzen Szene fährt der im Film gesagte Zug über das Viadukt. Vom Winkel der Einstellung her, muss die Kamera dabei in einem Wohnhaus positioniert worden sein.



Nach den erfolgten Grünschnittarbeiten im März 2022 lag nun auch ein kleiner Trampelpfad frei, der von einer parkähnlichen Grünanlage am Hang direkt zum Viadukt führte. Die früheren Sicherungsmaßnahmen waren alle wirkungslos geworden. Der Zaun aus Stahlschwellen lag Teilweise am Boden, der Stacheldraht unterbrochen und im Zaun klafft eine Lücke.


Der Zugang von Bahnübergang 6 aus ist der Interessantere. Er führt zuerst unter einer kleinen Stahlbrücke hindurch, die als Zufahrt zu einem Privatgrundstück dient. Danach geht an den Schienen entlang in den 367m langen Tunnel du Rouvalets. Auch dieser Tunnel ist „geräumig“ da er einst einer zweigleisigen Strecke Platz bot. Weniger Meter hinter dem Tunnel folgt dann das Vaidukt.

Auf dem Viaduc de l’Hospice fällt zu beiden Seiten der hohe umgebende Schutzzaun auf. Das alte Geländer war wohl nach heutigen Standarts zu niedrig gewesen. Vom Viadukt aus bietet sich ein guter Ausblick auf Elbeuf-le-Puchot. Einzige der emsige Verkehrslärm von den Straßen trübt die Aussicht. In Zukunft könnte hier oben mal ein schöner Radweg liegen. Aber auch die wieder neueröffnete Straßenbahn von Rouen wäre ein geeigneter Kandidat für eine neue Nutzung des Viaduktes.


Kapitel 4: Mehr Zeit für die anderen kleinen Details
In den drei Tagen entlang der Linie war ich darauf aus, meinen Fokus auch mal auf die kleinen Details Links und Rechts der Bahnstrecke zu richten.

















Knappe 400m hinter dem letzten Gleisanschluß bei Saint-Pierre-lès-Elbeuf ist die Strecke bereits seit mehreren Jahrzehnten abgebaut. Zurück blieb nur eine leere Schneise im Wald. Überspannt wird sie von einer schönen Brücke mit drei Bögen, auf der lediglich ein Feldweg liegt.