Bericht von unterwegs: Chartres – Gallardon-Pont

Meine Wanderung von Chartres nach Gallardon-Pont folgte einem spontanen Entschluß. Nach dem ich drei Tage zuvor auf der Strecke von Chartres nach Dreux gewandert war (siehe hier), war es ein einfaches mit dem Bus nach Chartres zurückzukehren und auch diese kleine Linie zu besuchen.

Der Grund, warum ich in der Vergangenheit schon mehrmals gezögert hatte nach Gallardon-Pont zu wandern, lag in der fehlerhaften Streckenkarte der SNCF begründet. Man schien sich hier scheinbar nicht einig zu sein, ob die Linie noch befahren wird oder nicht:

  • Die 2016er Ausgabe der Netzkarte zeigte die Linie schwarz gepunktet. Dies bedeutet die Linie ist nicht betriebsbereit und wird daher nicht mehr befahren.
  • Wiederum in der Netzkarte des Jahres 2020 war die Linie wieder in grün eingezeichnet und sollte damit regelmäßig befahren werden.
Im Jahr 2016 war die Linie nach Gallardon-Pont nur noch gestrichelt eingezeichnet (hier rot hervorgehoben).
Im Jahr 2020 wiederum war die Linie als „befahrbar“ eingezeichnet und nicht mehr gestrichelt.

Was stimmte nun? Tatsächlich zeigten die Luftbilder auf Google Earth und die Aufnahmen auf Google Street View schon viel Natur im Gleis und belegten, dass die Strecke langsam zuwächst. Nun wollte ich dem Ganzen mal auf den Grund gehen.

Die Bahnstrecke von Chartres über Gallardon-Pont nach Paris sollte 85 Kilometer lang werden und war über einen langen Zeitraum geplant gewesen. Wegen vieler Widrigkeiten wurde die Linie schließlich nie ganz fertig gestellt. Trotz einer Bauzeit von 24 Jahren waren die realisierten Abschnitte der Strecke nur acht Jahre lang von 1931 bis 1939, für den Personenverkehr geöffnet. Die Linie erfüllte damit nie die in sie gesetzten Erwartungen. Zum Zeitpunkt der Bauarbeiten gab es schon andere Bahnlinien im näheren Umfeld die den Bedarf gut abdeckten. An einer weiteren Bahnverbindung nach Paris bestand kein großes Interesse.

In Chartres: Ausblick auf die Linie nach Gallardon-Pont (rechts im Bild). Die SNCF baute hier kürzlich ein Depot für die Baulogistik.

Die Bauarbeiten begannen 1907 in Chartres und erfolgten in Richtung Paris.

Eröffnet wurden:

  • Chartres – Gallardon-Pont (17 Kilometer) im Jahr 1913 (zweigleisig)
  • Galardon-Pont – Saint-Arnoult-en-Yvelines (3km) im Jahr 1917 (zweigleisig)

Ein Weiterbau geriet dann ins Stocken.

Die Folgen des ersten Weltkrieges waren ein sehr großer Stahlmangel. Man beschloß 1918 das 2. Streckengleis der noch sehr neuen Strecke wieder zu demontieren und die Schiene an anderer Stelle besser verwenden zu können. Nach dem Krieg schritt der Weiterbau dann auch nur sehr langsam voran. Es dauerte bis Anfang der 30er Jahre um die Vororte von Paris zu erreichen. Mit Beginn des 2. Weltkrieges endete der Personenverkehr. Als der Krieg in Frankreich 1944 zu Ende ging, waren drei Viadukte der Linie zerstört worden. Sie wurden eingleisig wiederaufgebaut. Später gab es auf dem Abschnitt nach Gallardon-Pont bis in die 80er Jahre viele Güterzüge für den Bau der Autobahn. Die letzte Nutzung erfolgte für ein Gaslager bei Coltainville (9 Kilometer hinter Chartres). Sporadisch gab es touristische Sonderfahrten. Vor Gallardon werden aktuell 7 Kilometer Strecke mit Fahrraddrasinen befahren.

In Chartres verläßt die Bahnlinie die Stadt auf dem 1907 – 1911 erbauten Viadukt. Dieser Teil der Strecke wurde 1913 eröffnet.

Das Viaduc sur L’Eure erstreckt sich auf 530m Länge und und weißt 30 Bögen auf.

Im Jahr 2019 wurde das Viadukt zuletzt von der SNCF in einer dreitägigen Visite untersucht. Der Zustand wurde für gut befunden. Da kein Zugverkehr mehr stattfindet, muss das Viadukt nur noch sich selbst tragen, was die Belastung deutlich reduziert.

Ausschnitt aus einem Zeitungsartikel: https://www.lechorepublicain.fr/chartres-28000/actualites/chartres-le-viaduc-ferroviaire-des-grands-pres-fait-l-objet-d-une-inspection_13669926/https://www.lechorepublicain.fr/chartres-28000/actualites/chartres-le-viaduc-ferroviaire-des-grands-pres-fait-l-objet-d-une-inspection_13669926/
Oben auf dem Viadukt. Im Jahr 1913 zweigleisig eröffnet, wurde das zweite Gleis schon wenige Jahre später wieder entfernt.
Das Viadukt überquert mehrere Straßen, einen Park und den Fluß L’Eure

Hinter dem Viadukt zeigt sich deutlich, dass die SNCF Karte des Jahres 2020 nicht stimmen kann. Auf einer so stark zugewachsenen Strecke können zuletzt unmöglich Güterzüge gefahren sein. Der Verkehr muss hier mindestens 10 Jahre oder mehr zurückliegen. Die Vegetation hat die Schienen fast überall stark überwuchert.

Ausblick auf die zugewachsene Strecke.

Auf den ersten Kilometern liegt die Bahnlinie in einem Graben und wird von mehreren Straßenbrücken überspannt. Es schaut so aus, also ob man beim Bau sehr darauf bedacht war Bahnübergänge so gut wie möglich zu vermeiden. Wann immer möglich wurden Straßenbrücken über die Bahnlinie gebaut.

Bei den sichtbaren Straßenbrücken läßt sich das eigentlich recht junge Alter der Bahnlinie erkennen: Es wurde vornehmlich mit dem damals jungen Werkstoff Stahlbeton gearbeitet. Ältere Bauformen wie z.B. Steinbogenbrücken aus dem 19. Jahrhundert waren nicht zu sehen. Die angetroffenen Stahlbetonbrücken scheinen alle einem festen Baumuster zu gleichen und unterscheiden sich nicht sichtbar voneinander.

Eine der Stahlbetonbrücken
Gut ein halbes Dutzend Brücken entstand nach diesem einheitlichen Baumuster.
Das Alter ist den Brückenpfeiler oft anzusehen. In Coltainville wurde 2021 eine solche Brücke abgerissen.

Kurz hinter dem Bahnhof von Oisème führ die Bahnstrecke über das Viaduc sur La Roguenette. Im Jahr 1944 wurden vier Bögen des Viaduktes bei einem Bombenangriff zerstört. Aufgrund der niedrigen Bedeutung der Strecke erfolgte eine Reparatur etwas schmaler und nur für ein einzelnes Gleis.

Das Viaduc sur La Roguenette. Rechts im Bild sind die 4 schmaleren Bögen zu sehen.
Oben auf dem Viadukt. Die zerstörten Bögen schmaler und nur breit genug für ein einzelnes Gleis wieder repariert.
Von unten ist der schmalere Neuaufbau der Nachkriegsjahre gut zu erkennen.
Das Viadukt überquert beim Ort Oisème ein Tal.

Am Bahnhof von Coltainville zweigt ein Anschlußgleis zu einem 1 Kilometer entfernten Gaslager der Firma Primagaz ab. Der Anschluß hier wurde erst sehr spät, Anfang der 1990er Jahre, errichtet. Dieser Gleisanschluß – als „EP Primagaz“ – bekannt, wurde noch mindestens bis 2007 von der SNCF aus mit Kesselwagen bedient und war der letzte Grund für einen bescheidenen Güterverkehr auf der Strecke. Das Gleis verläßt den Bahnhof in nördlicher Richtung.

Das Anschlußgleis zur Firma Primagaz.
Für das Anschlußgleis wurden gebrauchte Schienen verschiedenen Alters verwendet.

Hinter Coltainville wurde die Linie länger nicht mehr von Zügen befahren. Das Gleis ist stark zugewachsen. Die ändert sich ab dem Ort Senainville. Hier erreicht man das westliche Ende der Velorail-Strecke, die in Gallardon-Pont ihren Anfang hat. Auf knapp 7 Kilometern muss man ab hier mit Ausflüglern auf Fahrraddraisinen rechnen. Das Streckengleis ist für diesen Zweck regelmäßig freigeschnitten worden.

Knapp 2 Kilometer vor Gallardon-Pont
Die Schienen der Bahnstrecke stammen überwiegend aus dem Jahr 1913. also genau aus dem Jahr in dem die Bahnlinie hier eröffnet wurde.
Knapp einen Kilometer vor Gallardon verläuft das Streckengleis nun auf einem mehrere Meter hohen Damm. Der Grund war der Bau einer Brücke über eine aus Richtung Norden kommende Bahnlinie.
Kurz vor dem Bahnhof von Gallardon führt die Bahnstrecke unter einer Straßenbrücke hindurch. Für die Straßenbenutzer von oben nicht sichtbar: Unterhalb des seitlichen Steges ist eine schöne Verzierung mit der Jahreszahl „1907“ angebracht.

Der Bahnhof Gallardon-Pont war als kleiner Verkehrsknoten angelegt, da die Strecke von Chartres nach Paris hier eine andere Bahnlinie kreuzte. Es bestanden somit ab Gallardon-Pont Fahrtmöglichkeiten in vier verschiedene Richtungen. Entsprechend umfangreich wurde der Bahnhof ausgebaut. Es gab fünf Gleise mit Bahnsteig und das, obwohl der Ort nur knapp 700 Einwohner aufwies. Aus der geplanten Bedeutung der Station wurde nichts. Die Nord-Süd-Strecke wurde bereits 1954 stillgelegt.

Am Bahnhof in Gallardon-Pont sind auf einem Privatgrundstück rund um das Bahnhofsgebäude einige Lokomotiven abgestellt.
So sah der Bahnhof früher aus. 1892 wurde die Nord-Süd Strecke Maintenon – Auneau-Ville eröffnet. 1913 kam die geplante Ost-West Strecke Chartres-Paris hinzu.
Eine Reihe verschiedener Lokomotiven steht unter freiem Himmel, teilweise in sehr schlechtem Zustand.
Für die Pflege der Draisinenstrecke wird eine Motordraisine vorgehalten.

Im Güterverkehr erreichte der Bahnhof eine bescheidene Verwendung. Entlang der Bahnfläche entstanden in den 70er Jahren ein paar Gleisanschlüße. So ist im Umfeld des Bahnhofes Gleisanschluß zu einem Silo zu sehen. Bei meinem Besuch wurden hier LKW beladen. Der Transport auf der Schiene wurde vor einigen Jahren aufgegeben. Viele weitere Hallen und Ladeflächen liegen heute brach.

Gut ausgebaut und zu einem Museum hergerichtet, ist der Güterschuppen im Bahnhof Gallardon-Pont anzutreffen.
An der Laderampe beim Güterschuppen sind alte Schienen aus dem Jahr 1886 zu sehen.
Am Bahnhof sind einige leerstehende Hallen zu finden.
Einige Ladegleise sind noch im Boden zu erkennen.
Weiter südlich sind auf der Bahnhofsfläche noch mehr Loks einer privaten Sammlung zu sehen.
Um die Sammlung kleiner Rangierlokomotiven scheint sich seit einiger Zeit niemand gekümmert zu haben.
Am Bahnhofsvorplatz.

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