Bericht von unterwegs: Troyes – Villeneuve l’Archevèque

Ein ungenutzter Gleisanschluß im Industriegebiet.

Bezüglich der Streckenwanderung von Troyes nach Villeneuve l’Archevèque ist mir in der Planung ein Fehler unterlaufen. Ich bin davon ausgegangen, dass die Linie im Jahr 2018 ihren Zugverkehr verloren hatte. Zwei Jahre später hier eine Streckenwanderung zu unternehmen sollte also kein Problem sein. Tatsächlich aber habe ich mich im Jahr geirrt. In Wirklichkeit war der letzte Zug schon im Juni 2015 gefahren. Damit erklärte sich dann auch warum mir mehr und mehr die Vegetation eine direkte Wanderung auf der Strecke erschwerte. Glück im Unglück: Die Linie war früher zweigleisig gewesen und nachdem das zweite Streckengleis entfernt worden war, blieb zumindest oft ein kleiner Trampelfpfad neben dem verbliebenen Gleis übrig. Auf den ersten Kilometern trat das Problem noch nicht so zu Tage, aber auf den letzten Kilometern war ich froh über diesen kleinen Ausweichweg. Auf der SNCF Karte des Jahres 2019 ist die Linie noch gepunktet eingezeichnet. Dies bedeutet „(noch) nicht stillgelegt„, aber gleichzeitig „nicht mehr betriebsbereit“.

Wie üblich hier ein kleiner Abriss zur Geschicht der Strecke: Die ursprünglich eingleisige Strecke wurde am 6. Mai 1873 zwischen eröffnet: Von Sens bis Coolus war sie 157km lang (für die Streckenwanderung ist nur der Abschnitt TroyesVilleneuve l’Archevèque – 42km – relevant). Bereits 1880 wurde die Linie um ein zweites Streckengleis erweitert. Erst gehörte sie der Firma Compagnie du chemin de fer d’Orléans à Châlons, danach bis 1883 der staatlichen État. Diese verkaufte die Strecke Compagnie des chemins de fer de l’Est. Diese wurde dann wiederum mit anderen Firmen zusammen 1938 verstaatlich. Seitdem gehört die Linie der SNCF. Zur gleichen Zeit wurde auf der Strecke der Personenverkehr eingestellt. Ähnliche Vorgänge gab es in dieser Zeit in ganz Frankreich. Auf insgesamt 9.000 Streckenkilometern wurde durch die junge SNCF der Personenverkehr eingestellt um die immer größer werdenden Verluste abzubremsen.

Im Sommer 1944 wurde durch eine Brückensprengung, ausgeführt von deutscher Truppen, die Durchbindung der Linie nach Sens unterbrochen. Die Brücke wurde nach dem Krieg nicht wiederhergestellt. Folglich fuhren die Züge ab 1944 von Troyes aus in eine 67km lange Sackgasse. Nach und nach wurde die Strecke weiter verkürzt und zuletzt bliebt nur noch der Streckenteil bis nach Villeneuve l’Archevèque in Betrieb. Entlang der Linie befanden sich 4 Getreidesilos mit Gleisanschluß. Hier wurde ein saisionaler Verkehr gefahren. Manches Getreidesilos kam früher auf 100 Züge pro Jahr. Dazu kommen 3 weitere Gleisanschlüße für andere Firmen, von denen zwei noch heute zu sehen sind. Der andere Anschluß wurde inzwischen abgebaut. Das geringe Frachtaufkommen stand zuletzt in keinem Verhältnis mehr zu den Betriebskosten. Die Situation verschärfte sich, als nach und nach die Getreidesilos ihren Verkehr auf die Straße verlagerten. Seit dem Jahr 2000 gab es nur noch ein einziges Getreidesilos an der Strecke, dass regelmäßig per Bahn angefahren wurde – eben jenes am Ende der Strecke im Bahnhof Villeneuve l’Archevèque.

Einen Zeitungsartikel über den letzten Getreidezug gibt es hier zu finden:

https://www.lyonne.fr/villeneuve-l-archeveque-89190/actualites/lultime-train-de-cereales-pour-troyes_11478571/

Die auf der Strecke gefundenen Schienen bieten wieder eine bunte Tüte voller Überraschungen. Verschiedenste Firmen und eine Mischung aus den Jahren zwischen 1882 und 1947. Neuere Schienen waren dagegen sehr selten. Wiedermal wird hier deutlich, wie gering die Investitionen gehalten wurden und wie sehr hier über Jahrzehnte auf Verschleiß gefahren wurde.

Für die 42 Kilometer lange Wanderung nach Villeneuve l’Archevèque benötigte ich zwei volle Tage. Zur Übernachtung wählte ich am 1. Tag einen Wald bei Fontvannes und am Abend des zweiten Tages den ehemaligen Bahnsteig in Villeneuve l’Archevèque. Leider war dies die dritte Streckenwanderung in Folge, in der mir das Wetter nicht hilfreich zur Seite stand: Der Regenschirm müßte immer griffbereit sein. Der Himmel war oft wolkenverhangen. Je näher ich an Villeneuve l’Archevèque herankam, desto stärker wurde auch die Vegetation. Erstaunlich, was hier alles in 5 Jahren gewachsen ist. In der Abfolge war die Linie recht monoton: Viele kleine Bahnübergänge und die seit 1939 nicht mehr genutzten Bahnsteige an den kleinen Unterwegsstationen. In den letzten 2 Jahren wurden vermehrt die ehemaligen Bahnübergänge entfernt. Dabei wurden die Schienen raus gerissen und die Straße erneuert. So wurde die Sicherheit und der Fahrkompfort auf der Straße erhöht. Mit einer Wiederinbetriebnahme scheint hier niemand zu rechnen.

Am folgenden Tag gab es bei meiner Abreise einen Patzer. Ich hatte mir eine Fahrplanverbindung herausgesucht und wollte von Villeneuve l’Archevèque nach Sens mit dem Bus fahren. Doch der angegebene Bus um 10Uhr kam nicht. Es stellte sich heraus, dass es sich um einen Rufbus handel. Ein solcher hätte am Vortag bestellt werden müssen. Dies traf auch für den folgenden Bus am Nachmittag zu. Der nächste reguläre Bus wäre so erst wieder am Folgetag um 6Uhr gefahren! Etwas verärgert bastelte ich mir ein Schild und fuhr per Anhalter nach Sens. Das klappte trotz Corona beachtlich gut (ca. 25 Minuten Wartezeit).

Wiederholen werde ich die Streckenwanderung vermutlich nicht, da die Linie eigentlich recht unbedeutend ist und es nicht viel Besonderes zu sehen gab. Wenn ich die Fotos mal umfassend gesichtet habe, werde ich entscheiden, ob ich eine umfangreiche Fotostrecke erstelle oder nicht.

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